Pop_News_15.11.24
Die Fantastischen Vier: Fantas for Life

Die Fantastischen Vier: Fantas for Life

Die Schwangerschaft war lang und die Geburt nicht einfach, doch nun unterstreichen Die Fantastischen Vier nach sechs Jahren mit ihrem neuen Album „Long Player“, was diese deutschen Hip-Hop-Legenden auch 35 Jahre nach Gründung so einzigartig und unentbehrlich macht.
Immer, bevor die Fantastischen Vier bei den zahlreichen Sommerfestivalauftritten in diesem Jahr ihren Hit „Troy“ anstimmten, fragten sie ins Publikum, wer von all den Menschen dort die Band denn bisher noch nie gesehen habe. „Und da waren jedes Mal rund die Hälfte der Arme oben“, erzählt Michi Beck, „was uns wirklich positiv schockiert hat.“ Denn gang und gäbe ist es ja nicht, dass eine Band, die seit 35 Jahren in unveränderter Besetzung zusammenspielt und die ihr erstes Album „Jetzt geht’s ab“ 1991 veröffentlichte, bevor sie ein Jahr später mit dem Hit „Die da?!“ kolossal erfolgreich wurde und später immer wieder Hits wie „Troy“, „MfG“ oder zuletzt „Zusammen“ ablieferten, noch immer so viele neue Leute zu sich lockt. Und während viele Jugendliche vermutlich durch die Castingshow „The Voice of Germany“, in deren Jury Beck und Kollege Smudo jahrelang saßen, auf die Fantas aufmerksam wurden, „so hat uns doch vor allem erstaunt, dass auch unheimlich viele Leute jenseits der vierzig das erste Mal bei uns waren.“
Möglicherweise ist das Ganze aber doch nicht so verwunderlich, denn die vier Schwaben – Smudo, Thomas D., Michi Beck und And. Ypsilon sind nicht nur eine Institution in der Poplandschaft, sondern zählen hierzulande zu jenen Musikschaffenden, die imstande ist, Fans aus unterschiedlichen Generationen und mit diversen Hintergründen und Weltanschauungen zu vereinen. Sie finden einfach auch nach all den Jahren noch die Balance zwischen Nostalgie und Moderne, zwischen Nachdenklichkeit und purer musikalischer Euphorie. Und deshalb brennt auch „Long Player“, das erste Fanta-Album mit neuen Songs seit „Captain Fantastic“ aus dem Frühjahr 2018, einmal mehr dieses Fanta-Feuerwerk aus Spaß, Ekstase und ein wenig Melancholie ab, das die Band nicht nur in der deutschen Hip-Hop-Landschaft, sondern in der heimischen Musikszene insgesamt zu einem Solitär macht. „Wir wollten ein Album aufnehmen, das ‚real‘ ist“, so Beck. „Das in erster Linie uns gefällt und in dem wir uns wiederfinden – in der Hoffnung natürlich, dass wir damit Gleichgesinnte finden.“
Auf „Long Player“, der Titel ist natürlich ein selbstironisch-selbstbewusster Seitenhieb auf die Langlebigkeit und Standhaftigkeit der Band, findet sich so einiges an Samples und Referenzen an früher, das fängt ja schon bei der ersten Single „Wie weit“ an, deren Refrain eine Zeile aus dem Lied „Hungriges Herz“ der Berliner Indie-Pop-Band MiA. aufgreift. Aber auch sonst sind viele der Nummern vom Klang her schön vintage und im besten Sinne Old School, „Bestandsaufnahme“ beispielsweise, wo man Einflüsse der Beastie Boys herauszuhören glaubt, oder „44 Tausend“, bei dem der Neunzigerjahre-Kulthit „Insane In The Brain“ von Cypress Hill Pate gestanden hat. „Natürlich verwenden wir auch Elemente aus zeitgenössischem Hip-Hop und moderner Popmusik“, ordnet Michi Beck die Dinge ein, „aber musikalisch finden die neunziger Jahre auf diesem Album sicher überdurchschnittlich stark statt.“ Ohnehin, so Beck, würde in der Popmusik ja momentan mehr denn je recycelt. „Jeder zweite Refrain, den ich beim Autofahren im Radio höre. Ist ein Refrain, den es schon mal gab.“ Und auch inhaltlich schwelgen die Fantastischen Vier mehr als zuvor in der Vergangenheit. „44 Tausend“, ein grandioser Stadionknaller, ist auch eine Verneigung vor den eigenen Anfängen, auf „5 Zimmer mit Bad“ erinnern die vier „best friends for life“ (wie Smudo im Text rappt), an die eigene Jugend, das lässig funkelnde „Weekendfeeling“ blickt auf dreißig Jahre als Liveband zurück und stellt klar, dass ein schnelles Ende nicht in Sicht ist. „Wir verzichten auf die Couch, bauen für die Kinder etwas auf“, erklären die vier schwäbischen Familienväter.
Denn irgendwann, und für die Fantastischen Vier scheint diese Ära jetzt angebrochen zu sein, ist man als Band einfach zu lange dabei und schlicht zu alt, um noch aufzuhören. Es lohnt dann irgendwie nicht mehr. Und es macht ja auch immer noch verdammt viel Spaß, wie man auf diesem vielschichtigen, sechzehn Songs langen Brocken von einem Album auch ständig in die Ohren gerieben bekommt. Klar, manchmal wird es etwas wehmütig, so wie im ruhigen „Fliegen“, wo Michi Beck im Alleingang das allmähliche, aber unaufhaltsame Auseinanderdriften eines langjährigen Paares beleuchtet. Oder im finalen Song „Inferno“, wo Thomas D. die Tatsache beleuchtet, dass man mit Mitte, Ende fünfzig sehr wahrscheinlich mehr Lebenszeit hinter- als vor sich hat. Aber insgesamt zaubert der „Long Player“ mit all seiner spritzigen musikalischen Frische doch vor allem ein breites Grinsen aufs Gesicht. „Es könnte gut sein, dass dies unser letztes Album ist“, gibt Michi Beck, der im Dezember 57 wird, denn auch eher etwas zaghaft zu Protokoll. „Aber seit ich vor 28 Jahren behauptet hatte, mit über dreißig nicht mehr auf der Bühne zu stehen, bin ich mit solchen Statements etwas vorsichtig geworden.“ Steffen Rüth

Bild: © Mumpi Künster/Monsterpics/dpa
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