Klassik_News_01.05.20
Die neue Wiener Staatsoper – Alles Wiener Walzer

Die neue Wiener Staatsoper – Alles Wiener Walzer

Der Ehrgeiz trieft hier wirklich aus jeder Intendantenpore. Bogdan Roscic, mit 56 Jahren auch nicht wirklich junger Quereinsteiger aus der Popbranche wie Klassikindustrie, will es als ab Sommer neuer Intendant der Wiener Staatsoper wirklich wissen. Seit Ende 2016 hat er Zeit gehabt, das etwas in die Jahre gekommene, vor allem regiekünstlerisch am Boden liegende größte Repertoiretheater der Opernwelt auf „4.0.“-Niveau zu bringen. So lautete jedenfalls die unglückliche Labelisierung seines längst wieder als Kulturminister entfleuchten Anwerbers. Und es tat auch viel Erneuerung not an dieser bisweilen lebendigen, aber auch oft genug museal verstaubten Opernfabrik.

Nun ist der erste Spielplan draußen, und keiner weiß, ob er sich in Zeiten nicht endender Corona-Einschränkungen ab September (mit Probe im Juni) überhaupt verwirklichen lassen wird. An der Wiener Staatsoper galt es bisher der Auslastungsquote, die bewegte sich fetischhaft und mit geschickten Rechenkünsten auf die 100 Prozent zu. Ob das zu halten sein wird? Roscic wagt für Wien – nicht für internationale Standards – viel, wagemutig ist er nicht. Er hat sich gut beraten lassen (unter anderem vom umtriebigen Vorvorgänger Ioan Holender) und er tritt seinem Vorgänger Dominique Meyer ziemlich rüde in den Hintern, indem er viele frische, schlechte, aber teure Inszenierungen aus dessen Ära gleich wieder entsorgt. Selbst dessen beide letzten, nun ausgefallen Premieren, Così fan tutte“ mit immerhin Riccardo Muti und Verdis „Maskenball“, sie wären schon in der nächsten Spielzeit gar nicht mehr angesetzt gewesen.

Bogdan Rosic ist vor allem einkaufen gegangen, hat gesammelt was sich anderswo bewährt hat. Man findet die großen, auch alten Regienamen, keiner ist neu oder unerprobt. Mehr noch: Es gibt zwar zehn statt sechs Premieren, aber von denen sind nur zwei echt. Der Rest von Castorf, Techerniakov, Stone usw. stammt aus dem Fundus anderer Häuser, ist zum Teil schon 22 Jahre alt (Hans Neuenfels‘ semigute Stuttgarter „Entführung“) oder ist seit zwei Dekaden zu 29 Theatern gereist (Calixto Bieitos routinierte „Carmen“). Programmatisch wird zum Auftakt die älteste Inszenierung des Hauses, Joseph Gielens „Butterfly“ von 1957, durch die ebenfalls schon 13 Jahre alte, in London, Riga und New York gespielte, auf DVD verfügbare Deutung des 2008 gestorbenen Anthony Minghella ersetzt. Lebendige Oper geht irgendwie anders. „Kernrepertoire in Kooperation erneuern“, nennt sich das jetzt in schönem Marketing-Sprech, wenn Ladenhüter von anderswo an der schönen blauen Donau aufpoppen.

Rosic hat die Dramaturgie ausgeweitet, vor allem darf sich hier der ebenfalls ästhetisch etwas überlebte Sergio Morabito mit seinen Ex-Stuttgarter Gefolge verwirklichen. Mit seinem Regiezwilling Jossi Wieler inszeniert der auch gleich die ziemlich schwache Henze-Oper „Das verratene Meer“, die einzige echte Novität, neben einem nach nur drei Spielzeiten schon wieder neu gezeigten „Parsifal“ den der immer noch nicht ausreisen dürfende Kirill Serebrenikov vermutlich per Moskauer Videoschalte gstalten muss.

Den dirigiert, in Topbesetzung, der neue, hochsolide Musikchef Philippe Jordan, freilich kein Wunschkandidat des Staatsopernorchesters alias Wiener Philharmoniker. Früher war das nicht selten ein umstrittener Posten, auch Vorgänger Franz Welser-Möst (der jetzt zurückkommt), hat ihn schnell verlassen. Zumindest Jordans Agent ist aber gut eingebunden, gleich sechs weitere Dirigenten (die Ex-Lebensgefährtin inklusive) stammen aus dessen Stall.
So viel anders als anderswo mahlen nun also die Wiener Opernmühlen nicht, man holt vieles, die einen Stars singen, die anderen nicht. Und sogar Plácido Domingo darf hier noch ran.

Das querständige Wien passt sich künftig ein in eine auch schon Konvention gewordene Linie des Zeitgenossentums. Dahinein fügt sich auch der kluge Ballettchef Martin Schläpfer, der im ungeschickt agierenden Berlin leichtes Spiel hätte haben können, und der jetzt in Wien gegen die verhärtete Spitzenschuhfraktion angehen muss. Er tut das mit seinem üblichen Moderne-Kanon und zwei eigen Kreationen nur in der Staatsoper, er muss freilich mit der Volksoper zwei Häuser bespielen und die ins #MeToo-Gerede gekommene Ballettschule reformieren. Warten wir es also ab. Auch Operndirektoren verjagen hat in Wien eine lange, ungute Tradition. Und auch der Mörtel Lugner muss bereits um seine Opernball-Loge fürchten. Alle wie immer also. Alles Wiener Opernwalzer. Autor: Manuel Brug
Fotocredit: Lalo Jodlbauer
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